Stories 4-ever - Schüsse...

L&P – Schüsse am Set

von  Alex K. & Petra P.   

 

Svenja öffnete das Autofenster und genoss den kühlen Fahrtwind. „Noch ein paar Kilometer und ich bin da, wo ich schon immer mal sein wollte“, dachte sich das Mädchen lächelnd. Sie spürte wie ihre Hände zitterten und ihr Herz pochte so laut, dass sie befürchtete der Taxifahrer könnte es auch hören. Svenja erinnerte sich daran, wie es, beim Casting, vor wenigen Wochen gewesen war. Damals hatte sie gedacht, sie würde vor Aufregung sterben. Aber im Vergleich zur jetzigen Situation war das nur halb so schlimm gewesen und das sollte was heißen.

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus diesen Gedanken. Noch bevor sie die Anzeige las, wusste sie wer es war. Svenja wollte ihre Mutter mit einem etwas genervten „Hi!“ begrüßen, doch sie kam gar nicht dazu auch nur einen einzigen Ton zu sagen. „Hallo, mein Schatz! Wie geht es dir? Bist du gut angekommen? Wie war der Flug? Hast du was Ordentliches gegessen? Hast du…“ Das schlanke, blondhaarige Mädchen verdrehte die Augen und antwortete auf jeder der Fragen brav mit „ja“ ohne überhaupt richtig zuzuhören. „Aber…sicher hab ich dich bei den Leuten trotzdem nicht. Wer weiß was da alles passieren kann und…“ „Mama!!! Das sind Erstens nicht einfach ‚irgendwelche Leute’; Zweitens wird mich hier schon keiner fressen und Drittens bin ich alt genug um auf mich selbst aufzupassen!“ „Kind, du bist erst 16…“, fuhr ihre Mutter aufgebracht dazwischen. Dem Rest der Predigt hörte Svenja gar nicht mehr zu. Schließlich war dies genauso sinnlos, wie den Ansichten ihrer Mutter zu widersprechen. „Mama, Akku ist alle! Ciao!“, sagte sie nach einer Weile, legte einfach auf und schaltete das Handy aus. Dann lehnte sie sich im Autositz zurück und sagte leise: „Endlich Ruhe!“ „Mütter! Was?“, meinte der Taxifahrer grinsend. „Allerdings! Schlimmer als schlimm!“ „Keine Sorge, Mädel. Ich kenne das…die machen sich sogar noch Sorgen wenn’s uns ausgezeichnet geht…so wir sind da!“ Svenja kramte in ihrem Rucksack nach der Geldtasche, zahlte, holte noch einmal tief Luft und stieg dann aus.

 

Das Mädchen befand sich auf einem alten Fabrikgelände. Dass es verlassen war, konnte man so nicht sagen, denn überall standen Kameras, Kabelrollen und sonstiges Zeug herum und dazwischen liefen Menschen hin und her und bereiteten alles für den kommenden Dreh vor.

„Entschuldigung! Bist du Svenja Werth?“, hörte sie eine wohlbekannte, freundliche Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und erkannte, nicht anders als erwartet, Ingo Lenßen. „Ja, die bin ich!“, bestätigte sie und reichte dem ‚Chefchen’ die Hand. „Dann werde ich dich mal allen vorstellen ja?“ Svenja grinste. „Ich kann’s kaum erwarten…“ Und dann war sie weg: die Aufregung. „Alles locker, alles easy!“, dachte sie lächelnd. Alles genau SO wie sie es sich vorgestellt hatte.

 

Nach einer lieben, netten Begrüßung wurde ihr prompt ein Drehbuch in die Hand gedrückt. Interessiert begann sie darin zu lesen. Als Chris jedoch ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah, musste er lachen. „Nicht so einfach zu verstehen, was?“ „Da sind ja Mathe und Hieroglyphen zusammen noch verständlicher.“ „Deshalb wird dir das der Chris jetzt auch erklären“, grinste Sandra. „ICH?“ „Ja DU! Ich muss noch schnell was nachfragen wegen Szene 8. Bin gleich wieder da!“

 

Während sich Christian Storm und Svenja Werth sich gegenseitig versuchten das Drehbuch zu erklären, saß Karsten Ploner, der ebenfalls eine Rolle spielen sollte, etwas abseits. Auch er war in das Drehbuch vertieft. Jedenfalls sah es so aus. In Wirklichkeit überflog er den Inhalt nur, denn mit seinen Gedanken war er ganz wo anders. Doch dies bemerkte keiner der Anwesenden. Alle waren damit beschäftigt, Späße zu machen. Nachdem Svenja und Christian mit dem Drehbuch klarkamen, gesellten sie sich zu den anderen.

Svenja war neugierig und ließ sich von Sandra und Ingo den gesamten Tagesablauf erklären. Ingo verzweifelte an Svenjas hartnäckigen Nachfragen und meinte: „Aus dir wird mal ne gute Privatermittlerin, dass seh ich jetzt schon.“ Daraufhin wurde groß gelacht. Nur leider wurde das vom Produzent unterbrochen. Er forderte alle auf, sich auf ihre Plätze zu begeben.

 

Es stand eine Verfolgungsszene im Programm, in der Karsten Ploner alias Max Rauter von Christian und Sandra bis hin zum Fabrikgelände verfolgt werden sollte.

Svenja durfte sich in der Zeit noch ausruhen und setzte sich deshalb nervös hinter die Kamera. Aber dort konnte sie nicht lange still sitzen und stand auf, was ein  Fehler war. Denn sie schlich sich schnurstracks in Richtung Einfahrt und somit auch, aus Versehen, ins Kamerabild, wo Karsten Ploner gerade mit quietschenden Reifen herein geschossen kam. Erschrocken sprang Svenja zu Seite.

Sie stand da wie angewurzelt, als Christian zu ihr gelaufen kam und sie fragte, ob sie sich was getan hätte. Da sie nicht antwortete, nahm er sie erstmal in den Arm und schob sie zu den anderen. Der Kameramann musste auf einmal loslachen, als er das verdatterte Gesicht von Svenja sah und meinte: „Das gehörte aber nicht in die Szene und nicht in deine Rolle!“ Der Produzent hingegen war leicht angenervt, wie schon den ganzen Tag, und fauchte: „Kannst du nicht aufpassen?“ Svenja sah traurig zu Boden und Christian meinte: „Jetzt mach mal halblang. Hauptsache ist, dass ihr nichts passiert ist. Dann drehen wir das eben noch mal.“

 

Karsten Ploner hatte den günstigen Augenblick genutzt und sich etwas abseits hinter eine Mauer verzogen. Er musste seinen Plan gut vorbereiten, denn er wusste, er hatte diese Chance nur einmal und dabei musste alles glatt gehen. Nervös schritt er auf und ab. Er wusste es war riskant…aber er hatte keine andere Möglichkeit und ihm durfte dabei auch nicht der allerkleinste Fehler passieren. „Es muss klappen…nein…es WIRD klappen!“, versuchte Karsten sich selbst zu beruhigen, doch ihn verfolgte ein ungutes Gefühl.

„Karsten?“ „Ja ich bin hier!“ Da er gerufen wurde, ging der Mann zurück zu den anderen. „Was ist los?“ „Wir müssen die Verfolgung noch mal drehen, bevor wir uns an die nächste Szene ranmachen“, antwortete der Kameramann. Karsten Ploner tobte innerlich. „Wegen dieser dummen Göre verzögert sich jetzt auch noch die ganze Aktion!“, fluchte er in Gedanken.

 

„Alles startbereit? Sehen wir zu, dass wir die Szene jetzt ordentlich in den Kasten bringen“, kommandierte der Produzent. Dieses Mal klappte alles ohne jegliche Zwischenfälle, worüber die ganze Crew froh war und so langsam schien sich auch die Laune des Produzenten wieder zu bessern.

 

In der nächsten Pause erklärte Ingo Svenja genau wie sie stehen und wo anschließend entlanglaufen sollte. Das Mädchen lernte schnell und verstand sofort wie sie sich zu verhalten hatte. Nach einigen Proben sagte Svenja: „Alles klar…ich kann es jetzt in- und auswendig.“ „Sicher?“ „Ja. Karsten alias Max steht da vorne mit der Pistole und zielt auf dich. Du stehst da drüben, ich steh hier und auf das abgemachte Zeichen lauf ich zu dir…“

 

Während die Kameras eingestellt wurden, verschwand Karsten noch einmal. Angeblich wollte er nur kurz auf die Toilette, so hatte er es jedenfalls am Set gesagt. In Wirklichkeit schlich er sich zu seinem Auto. Unauffällig schaute sich der Mann um und als er sich sicher war, dass ihm niemand gefolgt war, öffnete er den Kofferraum. Unter seiner Jacke holte er die Spielzeugwaffe, die ihm der Produzent für die kommende Szene gegeben hatte, hervor und tauschte sie gegen eine echte 9mm aus. Als wäre nichts gewesen, ging er zurück zur Crew und besprach kurz mit ihnen die Vorgehensweise.

 

Dann war es soweit, jeder ging auf seine Position, ging in Gedanken noch einmal alles durch und bereitete sich innerlich auf die Szene vor. Karsten alias Max zielte mit der Waffe auf Ingo Lenßen, er war siegessicher. Er nahm genau Ingos Brust ins Visier. Womit er allerdings nicht rechnete, war, dass da auf einmal Svenja hinter dem Auto hervorkommen würde. Er hatte das Drehbuch nicht ganz gelesen und war darüber nicht informiert. Aber er konnte nichts mehr ändern.

 

Ein Schuss hallte durch die kühle Abendluft. Karsten alias Max hatte abgedrückt wie es hätte sein müssen. Svenja spielte ihre Rolle perfekt, sie sank vor Schmerzen aufschreiend zusammen. Niemand dachte daran, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte, doch als Ingo zu ihr lief, stellte er geschockt fest, dass Svenja wirklich blutete. „Svenja… wie konnte das passieren?“, sagte Ingo Lenßen und begann sofort, beruhigend auf das zitternde Mädchen einzusprechen. Christian Storm alarmierte kurz entschlossen den RTW und Sandra Nitka kniete sich zu Svenja und nahm sie in den Arm.

 

Karsten bekam einen Schock. Er wollte Ingo Lenßen treffen und nicht Svenja, aber das war ihm in dem Moment egal. Er musste zusehen, dass niemand ihn erwischte. „Diese dumme Göre ruiniert meinen Plan“, dachte Karsten sauer. Ohne lange zu Überlegen rannte er zu seinem Wagen und wollte sich damit aus dem Staub machen. Christian, der den Fluchtversuch bemerkte, stürmte sofort hinterher und schrie wütend: „Hey Freundchen! Wohin des Weges ohne mich? Bleib stehen!“ Karsten sprang in seinen silbernen Toyota, verriegelte die Autotüren, startete im Handumdrehen den Motor und gab Gas. Chris lief einige Meter weit neben dem Wagen her und hämmerte mit der Faust gegen die Fensterscheibe: „Halt an, du verdammter Mistkerl!“ Doch Karsten Ploner fuhr unbeirrt weiter. „Ich krieg dich! ...und ich sag’s dir…such dir lieber gleich ein Erdloch!“, brüllte Christian dem Wagen hinterher.

 

Ingo, Sandra, Svenja und die ganze Crew warteten inzwischen ungeduldig auf Hilfe durch den RTW. Svenja lag mit einem schmerzenverzehrten Gesicht in Sandras Armen. Sie hatte viel Blut verloren und ihr Puls sank immer weiter. „Ich kann nicht mehr…“, flüsterte das Mädchen leise. Sandra sprach ihr Mut zu, doch schon im nächsten Moment wurde Svenja schwarz vor den Augen.

 

Christian war von der erfolglosen Verfolgung zurückgekehrt und raufte sich fluchend die Haare. „Früher oder später schnapp ich mir den Scheißkerl und…“ „CHRISTIAN!!!“ Ingo warf ihm einen mahnenden Blick zu. „Ja Mann, ich bin aber wütend!“ „Deine Wut bringt hier im Moment aber niemanden was! Du störst höchstens die Sanitäter und den Notarzt bei ihrer Arbeit.“ „Aber trotzdem…ich schwör, wenn ich den Burschen in die Finger kriege, dann häng ich ihn auf den nächstbesten Kirchturm!!!“ „Dazu musst du ihn aber erstmal finden…“ „Das wird doch nicht so schwer sein. Ich mein, dass er jetzt untertaucht oder so ist ja klar, aber der Produzent oder was-weiß-ich-wer wird wohl seine gesamten Personalien haben oder???“ „Ja das vermute ich auch und ich gedenke auch der Sache nachzugehen. Es passt mir nämlich ganz und gar nicht, dass so ein nettes Mädchen zu unserem Dreh darf und dann…“ Ingo sprach nicht weiter. Er, Christian und Sandra sehen dem davonfahrenden RTW hinterher. „Wir müssen ihre Eltern informieren…“, murmelte Ingo Lenßen, der sich dazu verpflichtet fühlte.

 

„Hallo?“ „Frau Werth?“ „Ja? Wer sind Sie?“ „Ingo Lenßen. Ich muss Ihnen leider etwas mitteilen. Es geht um ihre Tochter…“ Was ist mit Svenja?!?“, unterbrach ihn die beunruhigte Stimme der Frau. „Sie wurde angeschossen…“ „WAS? Das kann doch nicht sein! Sagen Sie, dass das nicht wahr ist! Wie ist das passiert und vor allem WIE kann so was passieren!“ Ingo versuchte Svenjas Mutter zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht, denn die Frau war außer sich. „Ich machte mich sofort auf dem Weg nach München…zu Svenja. Und mit Ihnen werd ich auch noch ein paar ernste Wörtchen reden, Herr Superrechtsanwalt, das verspreche ich Ihnen!“ „Frau Werth…“ – Aufgelegt –

Ingo sah seine Mitarbeiter an und atmete tief ein und aus. „Wie haben sie reagiert?“, fragte Sandra vorsichtig. „Die Mutter ist regelrecht ausgeflippt. Ist zu verstehen, aber da werden noch ganz schön Konsequenzen auf mich zukommen, wenn es nach der Mutter geht“, meinte Ingo. „Hey komm. Das alles ist jetzt erst einmal unsere geringste Sorge. Lasst uns zu Svenja ins Krankenhaus fahren, die braucht uns jetzt!“, sagte Christian teilnahmsvoll. Die anderen nickten zustimmend und machten sich gemeinsam auf den Weg.

 

Währenddessen heizte Karsten Ploner durch Münchens Innenstadt. Er war mittlerweile dreimal geblitzt worden und ärgerte sich schwarz. „Verdammt… wäre diese dumme Göre nicht gewesen, jetzt kriege ich keine Chance mehr, Ingo Lenßen alle zu machen“, murmelte er und schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad.

 

Im Krankenhaus begann für Ingo Lenßen, Christian Storm und Sandra Nitka eine lange, verhasste Wartezeit. „Wieso können die Ärzte nicht einmal hinne machen!“, ärgerte sich Christian. „Na na, lass die ihre Arbeit tun. Lieber ne halbe Stunde länger untersuchen und dafür Fehldiagnosen vermeiden!“, meinte Ingo. „Aber ich werd wahnsinnig!“ „Nicht nur du Chris!“, meinte Sandra, die unruhig neben Ingo auf einem der Stühle saß und vor Nervosität schon die halben Fingernägel ruiniert hatte.

 

Svenja lag mit blassen Gesicht, zugedeckt mit weißer Bettwäsche in einem der Krankenbetten und lächelte müde, als Ingo, Chris und Sandra das Zimmer betraten.

„Wie geht’s?“, fragte Ingo leise und besorgt über den Zustand des Mädchens. „Ich hab’s überlebt…aber meine Mutter wird mich umbringen!“, seufzte Svenja. „Ja, Ärger wird es auf alle Fälle geben, aber wenn dann kriegst doch nicht du den, sondern wir bzw. ich.“ „Da kennst du meine Mutter nicht, die macht jeden verantwortlich, der ihr grad in die Quere kommt.“ „Das lass mal unsere Sorge sein. Du brauchst jetzt ganz viel Ruhe und musst dich erholen!“, beruhigte Ingo das Mädchen. Svenja rannen plötzlich Tränen über die Wangen. „Es tut mir so leid!“ „Dir braucht doch nichts leid zu tun…schließlich kannst du nichts dafür, dass dieser Scheißkerl plötzlich mit ner echten Knarre in der Gegend rumballert. Aber den schnappen wir uns und dann kriegt er mächtig Kloppe!“, schwor Christian. „Na, das mit der Kloppe überlegen wir uns noch, vielleicht finden wir noch andere Foltermethoden“, grinste Ingo und zwinkerte Svenja zu. Diese lächelte noch einmal, froh darüber, dass jemand für sie da war und schlief dann erschöpft ein.

 

Noch lange blieben Ingo, Chris und Sandra bei Svenja sitzen und merkten gar nicht, dass sie an Svenjas Bett eingeschlafen waren. Sie wurden plötzlich geweckt, als die Tür bis zum Anschlag aufgerissen wurde und Svenjas Mutter, Marlene Werth, im Raum stand und besorgt rief: „Svenja, mein Kind…“ Sofort fiel sie ihrer Tochter um den Hals und erwürgte sie fast. „Da siehst du es, dieser Dreh war einfach nur Mist!!!“, begann Marlene Werth und Svenja kullerten schon wieder einzelne Tränen über die Wangen. „Das stimmt nicht, da konnte niemand etwas für!“, schrie Svenja und sprang aus dem Bett. Ingo und seine Mitarbeiter waren auf einmal hell wach. „Frau Werth, mein Name ist Ingo Lenßen…Bitte lassen Sie uns in meinem Büro darüber reden und nicht hier vor ihrer Tochter!“, sagte Ingo ruhig, während Sandra die weinende Svenja zurück ins Bett schob.

 

„Was wollen Sie da groß erklären?“, meckerte Marlene Werth, die sich hatte breitschlagen lassen, mit in die Kanzlei zu kommen, natürlich nur, um ihre Tochter nicht aufzuregen. Währenddessen war Sandra noch bei Svenja und Christian saß bei Ingo auf der Couch. „Es konnte keiner etwas dafür, die Schuld liegt einzig und allein bei dem Täter!“, sagte Ingo Lenßen ruhig. „Das sagen Sie doch nur so!“, schrie Frau Werth. „Jetzt machen Sie aber mal halblang. Es war Svenjas Wunsch einmal eine Rolle zu spielen und Sie haben das erlaubt. Es kann keiner etwas dafür“, sagte Christian etwas lauter. Er war sauer, dass sein Chef dafür grade stehen sollte, was Karsten Ploner angestellt hatte.

 

Währenddessen war Karsten Ploner in einem Hotel außerhalb der Stadt untergetaucht. Fürs erste war er hier sicher. Der Mann schmiss wütend seinen Koffer in eine Ecke und begann zu fluchen. Alles was schief gehen konnte, war tatsächlich schief gegangen. Aber er würde einen neuen Plan aushecken…einen besseren, einen genialeren…einen teuflischeren Plan…

 

Ingo Lenßen und seinem Ermittler Christian Storm war es nur schwer gelungen, die aufgebrachte Marlene Werth zu beruhigen. Sie hatten sich darauf geeinigt ‚das Ganze wieder gut zu machen’, was heißen sollte, dass sie in dem Fall ermitteln und den flüchtigen Täter fassen wollten. Als die neue Mandantin die Kanzlei verlassen hatte, sagte Christian: „Also, wenn du mich fragst, dann tickt die nicht mehr ganz richtig!“ „Nein, so was nennt man Eltern!“, antwortete der Rechtsanwalt grinsend und wählte nebenbei die Nummer des Produzenten. Als Allererstes teilte er mit, dass der ganze Dreh verschoben werden musste, da es Svenja ziemlich schlecht ging. Der Produzent zeigte sich verständnisvoll und meinte, dass das alles kein Problem wäre. „Sag mal…du hast doch sicher die ganzen Personalien von diesem Karsten Ploner.“ „Ja, die muss ich aber erst heraussuchen. Kann ich sie dir dann mailen?“ „Das wäre super! Danke!“

 

Nur wenige Minuten später hatte der Rechtsanwalt sämtliche Daten auf seinem PC, doch wie es sich nach einem Telefonat mit der Polizei herausstellte, stimmten weder Name, noch Geburtsdatum oder Wohnort…

 

Aber Karsten Ploner war mit einem Wagen von Sat.1 unterwegs. „Wenigstens ein klitzekleiner Lichtschimmer…“, murmelte Christian. Er hatte jetzt nicht wirklich Lust, in der Kanzlei zu sitzen. Lieber wäre er bei Svenja gewesen, aber dort hielt Sandra die Stellung. „Warte mal…!", schrie Ingo fast und wählte eine Nummer. Er hatte auch in Wirklichkeit einen Bekannten bei der Polizei und dieser war so nett und überprüfte das Kennzeichen des Wagens von Sat.1. „Hehe.. der wurde geblitzt. Sogar dreimal. In der Innenstadt. Aber ich bin nicht sicher, ob er noch hier ist“, grinste Ingo gemein.  Da klingelte das Telefon. „Ja, ok wir kommen vorbei!“, waren die letzten Worte, die Ingo sagte, bevor er mit Christian ins Krankenhaus fuhr.

 

Auf dem langen, kahlen weißen Flur stand Sandra Nitka und erwartete die beiden schon. „Hey, was is los?“, fragte Christian. „Ja, da kam so ne Karte. Mit einer Entschuldigung. Wahrscheinlich vom Ploner. Aber was ich wissen will ist: Warum hat er auf die Kleine geschossen?“ Auf einmal wurde Ingo Lenßen ganz ruhig. „Ich glaub ich weiß wieso. Es ist meine Schuld“, sagte er betroffen und ging zu dem großen Fenster. „Was Ingo?“, schrie Sandra. Sie und Christian folgten Ingo und Christian wollte wissen, was Ingo denn damit zu tun hätte. „Karsten Ploner heißt richtig Jörg Malta. Ihr wisst ja er hat einen falschen Namen angegeben. Ich hab für ihn und seine Frau einen Ehevertrag gemacht. Bei einer Scheidung bekäme sie alles und er nix. Und sie will sich jetzt nach meinem Wissen scheiden lassen“, sagte Ingo und machte deprimiert eine Pause. „Hey Ingo, da kannst du nichts für“, sagte Sandra und legte den Arm um die Schulter ihres Chefs. „Also wollte der dich treffen!“, flüsterte Christian etwas neben der Rolle.

„Wegen dir ist das also passiert? Das ist alles deine Schuld!“, schrie Svenja. Niemand hatte bemerkt, dass sie unerlaubterweise das Zimmer verlassen hatte und nun im Nachthemd auf dem langen Flur stand. Tränen rannen über ihre geröteten Wangen und sie machte Anstalten, einfach wegzulaufen. Ingo rannte auf sie zu und nahm sie in den Arm. „Bitte sag so was nicht“, flüsterte er mitgenommen. Es tat ihm sichtlich weh, von Svenja die Schuld zugewiesen zu bekommen. Christian schob die beiden ins Zimmer, sodass Svenja schleunigst wieder im Bett landete. „Hau ab!!!“, schrie Svenja den Rechtsanwalt an. Ingo wollte etwas sagen, doch Christian gab ihm mit einem Zeichen zu verstehen, dass es besser war, wenn er mit einer Entschuldigung warten würde, bis Svenja sich wieder beruhigt hatte. So verließ Ingo niedergeschlagen den Raum, während Christian sich einen Stuhl nahm und sich ans Krankenbett setzte. „Ich darf doch, oder?“, fragte er vorsichtig. Svenja schluckte, aber gab keine Antwort. „Hey, du bist doch jetzt nicht wirklich auf Ingo sauer?“, hakte Christian nach. Das Mädchen schluckte. „Wenn Ingo…“  „Ingo trifft da doch keine Schuld!“ „Weiß ich doch…“, murmelte Svenja und sah Christian mit traurigen Augen an, „…aber ich hasse es nur, dass immer mir so was passiert!“ „Svenja, im Leben passieren eben manchmal Dinge, von denen man nicht möchte, dass sie geschehen, aber sie passieren einfach und das kann man nicht ändern…“ „In diesem Fall gibt es aber einen Schuldigen!“, unterbrach sie ihn. „Ja, aber der ist nicht Ingo, sondern Jörg Malta und aus dem mach ich Apfelmus wenn ich ihn kriege!“ „Cool, das will ich sehen!“, grinste Svenja. „Jetzt schlaf erstmal und wir werden ihn in der Zwischenzeit ausfindig machen.“ „Das ist echt super von euch, dass ihr euch so dafür einsetzt, dass er geschnappt wird.“ „Bedank dich bei Ingo!“, sagte Christian und wollte gehen. „Chris?“ „Ja?“ „Wenn ich jetzt wirklich schlafen soll, dann haltet mir bitte meine Mutter vom Leib.“ Christian lachte. „Wir werden’s versuchen.“

 

So lag Svenja kurz darauf tief und fest schlafend in ihrem Bett.

Nachdem Jörg Malta Christian Storm das Zimmer verlassen sah, schlich er unbemerkt zur Tür. Quietschend öffnete sich diese. Gut durchdacht hob Jörg Malta die fest und ahnungslos schlafende Svenja hoch und schlich mit dem schlanken Mädchen durch die Tür hinaus auf den Flur und von dort aus direkt zum Ausgang.

In der großen Eingangshalle standen Ingo und Christian und warteten auf Sandra, die noch eben schnell zur Toilette musste.

„Ey schau mal, da is der Malta… mit Svenja!“, rief Ingo erschrocken aus. Jörg Malta drehte sich um, sah die beiden und rannte zu seinem Wagen auf dem großen unübersichtlichen Parkplatz. Ohne Rücksicht auf Verletzungen schleuderte er das zierliche Mädchen auf die Rückbank, sprang hinters Steuer und trat aufs Gaspedal.

Ingo ließ Christian einfach vor der Damentoilette stehen und folgte dem Täter. Der Rechtsanwalt beachtete keinerlei Verkehrsschilder, sondern trat einfach aufs Gas und folgte Jörg Malta. An einer roten Ampel musste Ingo Lenßen abrupt bremsen und kam noch eben vor der Ampel stehen. „Scheiße man …. Ich versteh schon warum Svenja mir die Schuld gibt. Ich bin zu nichts fähig. Noch nicht mal einen Täter kann ich gescheit verfolgen ohne ihn zu verlieren!“, brüllte Ingo und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Sauer und zugleich traurig drehte er um und fuhr zurück zum Krankenhaus.

 

Svenja öffnete langsam die Augen und kniff sie sofort wieder zusammen, als sie von einem grellen Licht geblendet wurde. Vorsichtig sah sie sich in dem leeren, von einer großen Neonlampe beleuchteten Raum um. Keine Möbel, keine Fenster…nichts. Sie wollte aufstehen, merkte jedoch panisch, dass sie mit einem Seil gefesselt war. Das Mädchen wollte um Hilfe rufen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Kraftlos, müde, ängstlich und frierend vor Kälte kauerte sie sich zusammen und begann zu weinen. Das Mädchen zuckte zusammen, als die schwere Eisentür geöffnet wurde und Jörg Malta erschien. Grob packte er sie am Nachthemd, das sie immer noch trug, und zerrte sie hoch. „Mitkommen!“, befahl er in kühlem Ton. Svenja versuchte sich zu wehren, gab es jedoch auf, als sie einsah, dass sie keine Chance hatte.

 

Ingo Lenßen saß regungslos auf einem der Stühle im Warteraum des Krankenhauses. Er machte sich fürchterliche Vorwürfe wegen Svenjas Verschwinden, doch er war nicht dazu fähig mit seinen Ermittlern darüber zu sprechen. Sandra saß neben ihm und legte ihm beruhigend den Arm und die Schulter, während Christian am Fenster stand und ununterbrochen grübelte. „Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn der Kerl Svenja was antut“, flüsterte Ingo tonlos. „Der wird ihr nichts tun“, murmelte Chris. Ingo blickte auf. „Na überleg doch mal: Jörg Malta will dich, nicht Svenja“, erklärte der Ermittler. „Aber Svenja hat seinen Plan durchkreuzt, wer weiß ob er sich nicht dafür an ihr rächen will…“ „Das glaub ich nicht, was würde ihm das denn bringen?“ Ingo hob die Schultern. In diesem Moment klingelte sein Handy. Der Rechtsanwalt machte keine Anstalten den Anruf entgegenzunehmen. „Was ist? Jetzt nimm schon ab!“, sagte Sandra. Ingo schüttelte nur den Kopf und drückte ihr wortlos das Telefon in die Hand. „Hallo?“, meldete sie sich. „Ich will mit Ingo Lenßen sprechen!“, brüllte Jörg Malta am anderen Ende der Leitung. Die Ermittlerin reichte ihrem Chef das Handy wieder und meinte: „Für dich!“ Zögernd meldete sich dieser nach einer Weile. „Hör jetzt genau zu!“, begann Jörg Malta, „Du bist in genau einer Stunde auf dem alten Fabrikgelände, wo wir gestern gedreht haben. Kein Christian, keine Sandra, keine Polizei und kein Sonst-jemand, sonst kannst du Svenja schon mal nen Grabstein anfertigen lassen!“ Der Mann sprach leise, was seine Stimme noch bedrohlicher wirken ließ. „Hast du mich verstanden?“ Der Rechtsanwalt nickte. „Ob du mich verstanden hast!?!?!? „Ja!“, antwortete Ingo leise. „Aber woher weiß ich, dass Svenja überhaupt noch lebt?“, fragte Ingo.  „Na daher…“, lachte Jörg Malta ins Telefon. Nebenbei gab er Svenja einen kräftigen Schlag in den Magen und sodass diese vor Schmerzen aufschrie. „Ist ja gut…! Tun Sie Svenja nicht weiter weh. Ich werde allein kommen“, meinte Ingo wütend. „Weitere Anweisungen gibt’s wenn ich dich auf dem Gelände seh!“, lachte Jörg Malta gehässig und legte auf.

 

Ingo Lenßen war kurz davor, das Handy auf den Boden zu schmeißen, so wütend war er. Er hatte sich nicht bei Svenja entschuldigen können und nun hatte er vielleicht keine Möglichkeit mehr dazu. „Ingo da gehst du nicht allein hin!“, meinte Sandra, die alles mit angehört hatte. „Natürlich tue ich das. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn Svenja etwas passiert. Das könnte ich nicht noch einmal ertragen“, maulte Ingo Sandra an. Christian wurde sauer. „Verdammt Ingo!!!!! Du bist dafür nicht verantwortlich. Und wir holen sie da ZUSAMMEN raus!“, schrie er ihn an, sodass sich umherstehende Leute verwirrt umblickten. „Was ist hier los?“ Plötzlich stand Marlene Werth vor ihnen. Ingo, Christian und Sandra sahen sich wortlos an. Svenjas höchstbesorgte Mutter war das Allerletzte, das sie jetzt noch brauchen konnten. „Wo ist meine Tochter?“, rief sie hysterisch. Chris gab Sandra zu verstehen, dass sie sich beeilen mussten, wenn Svenja heil aus der ganzen Sache rauskommen sollte. So ließen sie die aufgebrachte Frau einfach im Flur stehen und marschierten richtung Ausgang. Marlene Werth folgte ihnen. „Ich will jetzt wissen wo Svenja ist!!!“ Sandra bemerkte Christians wütenden Blick und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ihm endgültig der Kragen platzte. „Wenn Sie mir jetzt nicht sofort sagen, wo mein Kind ist, dann…“ „Was dann?! Jetzt hören Sie mir mal zu! Sie werden gar nichts tun, es sei denn sie wollen ihre Tochter an deren Grab besuchen! Und jetzt lassen Sie uns unsere Arbeit tun!“ Das hatte gesessen. Das erste Mal seit zwei Tagen, wusste Svenjas Mutter keine Antwort, mit der sie hätte kontern können.

 

Der Rechtsanwalt und seine beiden Ermittler waren in die Kanzlei gefahren. „Also, ich fasse noch mal zusammen“, begann Sandra, „Jörg Maltas Frau will sich scheiden lassen, wobei er selbst leer ausgehen wird. Da du, Ingo, den Ehevertrag gemacht hast, will er sich an dir rächen, was ihm am Set aber nicht gelungen ist. Deshalb hat er jetzt Svenja entführt um sie gegen dich ‚einzutauschen’…“ „Der Mann hat doch nen gewaltigen Schaden! Von dem würde ich mich auch scheiden lassen…“ „Christian!“ „…ich meine, wenn ich eine Frau wäre“, grinste der Ermittler. „Wir brauchen einen Plan“, murmelte Sandra. „Nein, brauchen wir nicht…“, meldete sich Ingo, der bis jetzt geistig abwesend und ohne ein Wort zu sagen dagesessen hatte. „Geht das jetzt schon wieder los?“, meckerte Chris. „Ich geh da alleine hin!!!“ „Ingo, wenn du nicht mein Chef wärst, würde ich über den Tisch springen, dich an der Krawatte hochheben und dir mal eine Predigt á la Christian Storm halten! Du kannst hier nicht alleine entscheiden!“ „Kann ich nicht?“ „Nein, kannst du nicht! Du hast Familie, du hast Freunde und du hast uns und da kannst du nicht sagen: tschüss ich begebe mich mal eben in die Gewalt eines Psychopaten!“ „Dann schlag was vor!“, forderte Ingo seinen Ermittler auf. Das war aber leichter gesagt als getan. Die Ermittler und Ingo Lenßen grübelten und brüteten über einem Plan, aber die Zeit lief ihnen davon. Es herrschte eine unendliche Stille, die Sandra Nitka irgendwann nicht mehr aushielt. Sie stand auf und drehte das Radio an. „Mach das aus! Ich kann mich so nicht konzentrieren!“, maulte Ingo unzufrieden. „Das kannst du ohne auch nicht“, scherzte Sandra, doch keiner lachte. „ICH HABS MAN!!!!“, schrie Christian auf. „Komm schieß los. Oder ich geh doch alleine hin. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren“, grummelte Ingo. „Das wirst du auch tun“, meinte Christian. „Spinnst du jetzt komplett, Chris? Ich mein nen Dachschaden hast du ja scheinbar in Großformat!“, entrüstete Sandra sich lautstark. „Boa Schnitti, lutsch am Daumen, dann biste wenigstens ruhig und hör mir jetzt zu“, grinste Chris. „Sag mal was haste geraucht? Christbaumzweige???“, fragte Sandra, doch Christian schenkte ihr keine Beachtung. „Also, du gehst da hin dann, und wir folgen dir zu Fuß. Wenn du den beschäftigst, so ein bisschen dummes Zeug labern wie immer, da greifen wir dann ein“, erklärte Christian seine Idee. „Wir überwältigen den, machen den mal so richtig platt und du kümmerst dich um Svenja“, fügte Sandra hinzu. „Ihr bedenkt eines nicht: Svenja  hasst mich. Die wird nicht freiwillig zu mir kommen, wohl eher bleibt sie bei diesem Jörg Malta“, sagte Ingo niedergeschlagen. „Nein, sie hasst dich nicht und sie ist dir auch nicht böse. Ich habe mit ihr gesprochen!“, sagte Christian. „Das sagte sie dir…!“, meinte Ingo. „Hey, wir machen das jetzt so, oder haste nen besseren Plan?“, fragte Sandra. „Ja, ich mache des al…“, begann Ingo. „Das ist ein doofer Plan!“, unterbrach Christian ihn.

 

Svenja saß leichenblass auf dem kalten Boden. Sie hatte Angst. Was würde mit ihr passieren? Könnte ihr jemand noch helfen? Sie machte sich Vorwürfe, dass sie mit Ingo gestritten hatte. Da betrat Jörg Malta den Raum. Er schenkte Svenja keinerlei Beachtung. „Was habe ich dir getan?“, wimmerte Svenja. Sie wirkte sehr verletzbar, wie sie da in ihrem Nachthemd auf dem Boden lag und zitterte. „Gar nichts. Du warst nur zur falschen Zeit am falschen Ort“, meinte Jörg Malta ruhig. Er wirkte zum ersten Mal seit der Entführung keineswegs bedrohlich. „Was wird jetzt geschehen? Bitte bitte sag es mir“, schluchzte Svenja. „Verdammt halt die Klappe, das wirst du schon noch sehen!“, schrie Jörg Malta plötzlich und knallte seinen großen Kaffeebecher auf den Boden. Dann packte er das verängstigte Mädchen und zerrte es hoch. „Mitkommen! Und ich warne dich! Benimm dich und mach ja keine Dummheiten!“

 

Ingo Lenßen und seine Ermittler waren auf dem menschenleeren Fabrikgelände angekommen. Christian sah sich um und meinte nach einer Weile: „ Der Jörg ist aber auch ganz schön blöd…und wir auch!“ Sandra sah ihren Kollegen fragend an. „Na, die Gegend hier ist sowas von unübersichtlich. Das ist ein großer Vorteil für uns, wir können uns praktisch hinter jeder Ecke verstecken.“ „Stimmt und für Malta sieht es dann so aus, als wäre Ingo wirklich ganz alleine hier“, fügte Sandra hinzu. „Also Planänderung, Chef?“ „Ja, aber beeilt euch. Der müsste jeden Moment hier aufkreuzen.“

 

Eine Minute nach der anderen verstrich ohne, dass etwas passierte. Ingos Herz pochte laut. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde: was hatte Jörg Malta schlussendlich vor…und wie ging es Svenja…oder hatte er ihr sogar schon etwas angetan?

„So sieht man sich wieder!“ Jörg Malta stand plötzlich fies grinsend hinter ihm und hielt Svenja eine Pistole an den Hinterkopf. Das Mädchen zitterte am ganzen Körper und war den Tränen nahe. „Lassen Sie Svenja gehen!“, forderte der Rechtsanwalt. „Ja, bin ich blöd oder was?!?“ „Das wollen wir hier und jetzt nicht feststellen…“ „Ha ha, sehr witzig!“ „Was wollen Sie? Sie haben doch mich! Svenja hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, also lassen Sie sie gehen!“ „Ich kann doch keine Zeugin laufen lassen“, sagte der Mann mit einem eiskalten Blick und richtete die Pistole auf Ingo. In diesem Moment rammte Svenja ihren Ellbogen in Jörgs Unterleib und riss sich los. Christian und Sandra stürmten aus ihrem Versteck hervor und wollten den Mann überwältigen, doch als krachend ein Schuss fiel, blieben die beiden wie angewurzelt stehen und mussten hilflos zusehen wie Ingo vor Schmerzen aufschrie und zu Boden sank. „INGO!!!“

 

Chris und Sandra vergaßen alles um sich herum und kümmerten sich sofort um den verletzten Rechtsanwalt. „Hey Cheffchen, mach keinen Scheiß!!!“, schrie Christian. Langsam öffnete Ingo die Augen. „Wo sind Svenja und Malta?“ „Das ist mir jetzt scheißegal!“ Mühsam setze sich der Rechtsanwalt auf. „Nein, ist es nicht! Wo sind sie hin?“ „Ingo! Ich ruf jetzt einen Notarzt!“ „Nein Sandra! Wir müssen Svenja finden…und zwar VOR Jörg Malta!“ „Aber du brauchst einen Arzt!!!“ „Was ich brauche und was nicht, das weiß ich schon selber…war ja nur ein Streifschuss…“, behauptete Ingo mit schmerzenverzehrtem Gesicht, „…also los jetzt! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“ „Mann! Und ich dachte immer Chris sein stur!“, maulte Sandra und gab widerwillig nach. Langsam halfen sie Ingo Lenßen auf und brachten ihn zum Auto. „Wo is die Kleine hingelaufen?“, fragte Ingo verzweifelt. „Komm jetzt zeig mir mal deine Verletzung da“, befahl Sandra ihrem Chef streng. Christian half Ingo aus dem Mantel und Sandra holte einen Verbandskasten aus dem Kofferraum. „Wir können mit so was Unwichtigem keine Zeit verlieren“, sagte Ingo gereizt. Sandra gab sich geschlagen. Sie setzte sich mit ihrem Chef auf die Rückbank des Alfas und Christian klemmte hinters Steuer. Langsam fuhr er in die Richtung, in die Svenja gelaufen war. „Geht’s nicht schneller?“, fragte Ingo von der Rückbank. „Geht’s nicht ruhiger?“, murmelte Christian.

Sandra schaute sich währenddessen besorgt Ingos Schusswunde an. Die Kugel hatte ihn in der rechten Schulter getroffen und er verlor eine Menge Blut. Doch sein Wille, Svenja zu finden, war so groß, dass er jegliche Schmerzen unterdrückte. Mit einem Atem beraubendem Tempo rauschte Christian Storm über die Landstraße. An einem nahe gelegenen Waldrand hielt er an. Er hatte eine große Gestalt dort hinein laufen sehen. Sie passte zur Statur von Jörg Malta.

Eilig verband Sandra Ingos Schulter zu Ende, wobei dieser fast vor Schmerzen aufschrie. Aber er unterdrückte ein Schreien, um Jörg Malta nicht zu warnen.

Nacheinander liefen sie in den dichten Wald hinein.

 

„Wie sollen wir Svenja hier bloß finden? Sie kann überall sein und es ist Zufall, ob Jörg Malta oder wir sie als Erstes finden.“ „WIR müssen sie finden, sonst…“ „Pssssst, seid mal leise. Ich hab da grad was gehört“, unterbrach Christian die Diskussion. Ein paar Vögel zwitscherten in den Bäumen, aber ansonsten war es totenstill. „Na gut, dann hab ich eben die Waldgeister gehört.“ „Seit wann glaubst du an…“ „Leise! Jetzt hab ich auch was gehört.“ Sandra lauschte. Tatsächlich rief jemand um Hilfe. „Das ist Svenja!!! Es kam aus dieser Richtung!“ Vorsichtig und lautlos folgten Ingo, Chris und Sandra den Rufen und gelangten schließlich an einer kleinen Waldlichtung an. Svenja lag weinend im Gras und versuchte verzweifelt den brutalen Schlägen von Jörg Malta auszuweichen. „Dieses Schwein schnapp ich mir!“, knurrte Christian und rannte los, ohne auf Ingos Versuch ihn zurückzuhalten zu achten. Mit seinen kräftigen Händen packte er Jörg Malta an den Schultern und riss ihn zu Boden. „Jetzt ist Schluss hier! Was fällt dir überhaupt ein?!? Ein hilfloses Mädchen zu verprügeln!“ „Sie hat es verdient!!!“, brüllte Jörg Malta. „Der einzige, der hier ne ordentliche Tracht Prügel verdient hat, bist DU!“, konterte Chris wütend und hob drohend die Faust, worauf Ingo ihm einen mahnenden Blick zuwarf. „Och Chef. Nur ein kleines Veilchen! Ich bin grad so richtig in Fahrt!“ Jörg Malta versuchte sich von Christian loszureißen, indem er wie ein Verrückter um sich stieß. „Ist jetzt Ruhe hier?!?“ Doch der Mann hörte nicht auf sich zu wehren und da Christian seine Geduld endgültig verloren hatte, holte er aus und setzte Jörg Malta mit einem gezielten Schlag außer Gefecht. „Sorry! Musste sein!“ Nachdem er die Polizei verständigt hatte, gesellte er sich zu Ingo und Sandra, die sich in der Zwischenzeit um Svenja gekümmert hatten. „Alles ok, Svenja?“ Das Mädchen nickte schluchzend. „Sandra, fahr du mit Ingo und Svenja schon mal ins Krankenhaus. Ich warte hier noch auf die Polizei und kommt dann sofort nach.“ „Ok! Bis später!“ „Ach ja Christian?“, meldete sich Ingo. „Ja?“ „Verhau den Malta nicht noch allzu sehr!“ „Chef, was denkst du von mir…ich bin doch immer lieb…auf meine Weise!“

 

Im Krankenhaus wurde Ingo Lenßen sofort operiert und Svenja wurde gründlich untersucht. „Wir behalten sie über Nacht hier“, sagte der behandelnde Arzt.  „Kann ich zu ihr?“, bat Sandra. Der Arzt nickte zustimmend und sagte: „Und bringen Sie sie bitte auf andere Gedanken. Sie macht sich wegen irgendetwas schreckliche Vorwürfe.“

 

„Hey Svenja, wie geht’s dir?“, fragte Sandra besorgt, als sie das weinende Mädchen in dem großen weißen Bett liegen sah. „Wie geht es Ingo? Wo ist er? Das ist alles meine Schuld!“, schluchzte Svenja, ohne auf Sandras Frage einzugehen. „Ingo wird operiert. Aber soweit geht es ihm gut“, beruhigte Sandra Svenja. „Hey du Zwerg! Alles klar bei dir?“, fragte Christian Storm, der soeben das Zimmer betreten hatte. „Ich hab grad mit dem Arzt gesprochen, Ingo kommt zu dir auf’s Zimmer. Dann biste nicht so allein.“ Svenja huschte grade ein Lächeln übers Gesicht, als die Tür erneut aufging und Ingo Lenßen ins Zimmer geschoben wurde. „Svenja, ist alles ok bei dir?“, fragte Ingo als Erstes. Immer mehr Tränen kullerten über Svenjas Wangen. „Nichts ist ok. Das ist alles meine Schuld. Nur wegen mir bist du jetzt verletzt…“, schluchzte Svenja. „Jetzt ist mal gut ja. Komm mal hier rüber, kann leider noch nicht so ganz aufstehen“, grinste Ingo. Svenja schlüpfte unter der Decke hervor und setzte sich zu Ingo aufs Bett. Dieser setzte sich auf, strich ihr liebevoll die Tränen weg und nahm sie dann fest in den Arm. „Du hast da überhaupt keine Schuld. Hauptsache dir ist nichts weiter passiert“, flüsterte er und fügte dann noch hinzu: „Bist du mir noch böse?“ Svenja sah auf und schüttelte wild ihren Kopf, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen und lehnte sich dann wieder schluchzend an Ingos Schulter.

Christian legte den Arm um Sandra und lächelnd sahen sie die beiden an.

 

 

Urteil:

Jörg Malta wurde wegen mehrfach versuchtem Mord, schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und 3 Monaten verurteilt.

 

 

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